Impuls zum 8. Dezember 2024
Von Stefan Leibold, pax christi Münster
Umkehr
Wir leben in Zeiten, wo man, wenn man heute etwas schreibt, nicht weiß, ob die Situation nicht morgen schon eine andere ist. Konkret: hat die Eskalation des Westens im Ukraine-Krieg den dritten Weltkrieg eingeleitet? Wenn die Bomben fallen, wird es keine lange Vorwarnung geben. Ist der Nahe Osten durch die Eskalationsdynamik der israelischen Regierung zu einem noch größeren Flächenbrand geworden, der sich rasant ausbreitet? Oder sind die unregulierten Finanzmärkte schneller als erwartet zusammengebrochen und Deutschland in einer noch massiveren Rezession als ohnehin? Die Krisen können an verschiedenen Stellen schnell einen kritischen Punkt überschreiten. Dazu passen die vorgeschlagenen liturgischen Texte für den 2. Advent: Umkehr ist dringend nötig angesichts der realen Machtverhältnisse. Hoffnungsbilder aus früheren Zeiten können uns Mut machen.
Lied GL 756: Mit Ernst, o Menschenkinder
1) Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt;
bald wird das Heil der Sünder, der wunderstarke Held,
den Gott aus Gnad allein der Welt zum Licht und Leben
versprochen hat zu geben, bei allen kehren ein.
2) Bereitet doch fein tüchtig den Weg dem großen Gast;
macht seine Steige richtig, lasst alles, was er hasst;
macht alle Bahnen recht, die Täler all erhöhet,
macht niedrig, was hoch stehet, was krumm ist, gleich und schlicht.
Erste Lesung: Bar 5, 1-9
1 Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! 2 Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt! 3 Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen. 4 Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht. 5 Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat. 6 Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, / weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, / ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte. 7 Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann. 8 Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß. 9 Denn Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.
Das Buch Baruch ist sicher eines der weniger bekannten, das Aufnahme ins (katholische) „Alte Testament“ gefunden hat. Es erhebt in der Einleitung den Anspruch, eine in Babylon entstandene Schrift für die Deportierten im Exil zu sein. Allerdings sind sich die Bibelforscher heute einig, dass es erst einige Jahrhunderte später entstanden ist. Es scheint so, als seien die drei Hauptteile ursprünglich selbständige Schriften gewesen.
„Gott führt Israel heim in Freude“: das ist die Hoffnung der Menschen im Exil, und es könnte auch unsere Freude sein, die wir uns auch oft im Exil angesichts der Zustände der Welt empfinden. Beeindruckend ist der Vers: „Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht.“
Gerechtigkeit schafft Frieden, sie ist die Grundlage dafür. Und ohne Gottesfurcht wird diese nicht in die Welt kommen. Furcht meint hier nicht die Angst vor dem strafenden Gott, sondern das Ernstnehmen der Botschaft und der Versuch, danach zu leben. Ähnliche Hoffnungsbilder beschreibt auch das Buch Jesaja, wahrscheinlich ist diese Lesung deshalb dem Evangelium zur Seite gestellt worden.
Lied: Ihr Mächtigen, ich will nicht singen
1. Ihr Mächtigen, ich will nicht singen eurem tauben Ohr.
Zions Lied hab ich begraben in meinen Wunden groß.
Ich halte meine Augen offen, liegt die Stadt auch fern.
In die Hand hat Gott versprochen, er führt uns endlich heim.
In deinen Toren werd' ich stehen, du freie Stadt Jerusalem,
in deinen Toren kann ich atmen, erwacht mein Lied.
In deinen Toren werd' ich stehen, du freie Stadt Jerusalem,
in deinen Toren kann ich atmen, erwacht mein Lied.
2. Die Mauern sind aus schweren Steinen, Kerker, die gesprengt,
von den Grenzen, von den Gräbern, aus der Last der Welt.
Die Tore sind aus reinen Perlen, Tränen, die gezählt.
Gott wusch sie aus ihren Augen, dass wir nun fröhlich sind.
In deinen Toren werd' ich stehen…
3. Die Brunnen, wie sie überfließen, in den Straßen aus Gold.
Durst und Staub der langen Reise: Wer denkt daran zurück.
Noch klarer als die Sonnenstrahlen ist Gottes Angesicht.
Seine Wohnung bei den Menschen: mitten unter uns.
In deinen Toren werd' ich stehen, …
Evangelium vom Sonntag: Lk 3, 1-6
1 Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes [Antipas] Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene;
2 Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
3 Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden,
4 wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht: Stimme eines Rufers in der Wüste: / Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen!
5 Jede Schlucht soll aufgefüllt / und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
6 Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.
Wir schreiben das Jahr 2024: Ursula von der Leyen ist zum zweiten Mal Kommissionspräsidentin der EU geworden, das mächtigste Land der westlichen Welt bekommt in Kürze mit Donald Trump einen neuen Präsidenten, in Deutschland befinden wir uns im 4. und letzten Regierungsjahr von Kanzler Scholz, das Land ist zerstritten und gespalten, in Rom ist ein Argentinier Papst, Bischof Georg Bätzing ist Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die mit dem Papst oft nicht so viel anfangen kann…
Wundern Sie sich gerade über diesen Beginn? Das Evangelium des Sonntags beginnt auch so, allerdings historisch mit anderen Namen und Herrschaftstiteln. Besser für die Menschen war es vor 2000 Jahren bestimmt nicht: das Imperium der Römer ging mit äußerster Brutalität gegen Oppositionelle und Abweichler vor, Pontius Pilatus wird als brutaler und provozierender Prokurator geschildert, auch wenn er offenbar politisches Geschick hatte, insbesondere bei der Einbindung heimischer Eliten, sonst hätte er nicht so lange regiert (von 26 bis 39 n.Chr.). Herodes Antipas galt als willkürlicher Herrscher, der sich an moralische Konventionen nicht gebunden fühlte und seine Schwägerin heiratete und der „anti pas“, „gegen alles“ war.
Warum schreibt Lukas so ausführlich, wer zur Zeit von Jesu Auftreten an den Hebeln der Macht saß? Weil das bedeutsam ist: die Verkündigung vom „Reich Gottes“, von Gottes Versprechen einer anderen Welt, muss die reale vermachtete Welt, in der sie stattfindet, wahr und sehr ernst nehmen. Das Reich Gottes ist nicht „weltfremd“, abgehoben von der realen Welt, es ereignet sich genau dort und darin. Die Form der weltlichen Herrschaft und der herrschenden Strukturen sind nicht egal.
Gleichzeitig beginnt mit dem Auftreten von Johannes und später Jesus auch die Kontrastgeschichte zur herrschenden Geschichte: In allen Krisen und Kriegen, in Not und Elend und im Angesicht schreiender Ungerechtigkeiten ist eine Geschichte des „Heils“, eines besseren Lebens, möglich. Und auch heute, in der „Verfallsgeschichte“, die wir wahrnehmen.
Johannes ist nicht nur Täufer, sondern auch Prediger dieser anderen Zeit, er wird im Evangelium als Prophet eingeführt, er ist ein Wanderprediger wie Jesus einer sein wird. Er wirkt genau an dem Ort, wo die Pilger vorbeikommen, die von Galiläa zum Tempel nach Jerusalem unterwegs sind. Sie wollen dort ihre Gottesbeziehung stärken und um die Reinigung von ihren Sünden bitten. Sie tun das traditionell mit zahlreichen teuren Opfergaben, damit ihnen ihre Schuld erlassen wird. Johannes bietet ein Kontrastprogramm dafür an: wer umkehrt und sich taufen lässt, der wird dadurch gereinigt, dem werden die Sünden vergeben. Das Tempelopfer braucht man dafür nicht mehr. Eine massive Provokation für die Tempelaristokratie.
Johannes zitiert das Buch Jesaja mit den uns heute gut bekannten Worten. Der Weg geht dort von der Wüste zum Berg Zion, nach Jerusalem, vom lebensfeindlichen Ort am Rand mitten ins Zentrum. Anders ausgedrückt: Die Umkehr findet in der Wüste statt, nicht in der Hauptstadt, in der anstrengenden Selbstprüfung, nicht an der Stätte geballter Macht.
Alle Menschen (wörtlich: „alles Fleisch“) werden das Heil Gottes sehen: alle Menschen dieser Erde! Das gute Leben wird allen Menschen verkündet, nicht nur Zion, Deutschland oder Europa.
Es gibt nur eine Geschichte Gottes mit den Menschen, keine vom realen Geschehen abgekoppelte Heilsgeschichte. Das sollten wir ernst nehmen. Und diese Geschichte voller Leid und Ungerechtigkeit braucht unsere Umkehr dringend, denn wir sind auf vielfältige Weise in Unrechtsstrukturen verstrickt: in Kriege, in ungerechte Wirtschaftsstrukturen, in die Zerstörung der Biosphäre. Für diese Umkehr brauchen wir keine Beteiligung am Kult der Mächtigen, sondern eine Umkehr im Geiste einer Besinnung, die unsere Wüstenerfahrungen ernst nimmt. Genau das meint die ursprüngliche Fastenzeit des Advents.
Gebet
Der Rufer in der Wüste muss manchmal lange warten, bis jemand kommt
Wer ist bereit umzukehren?
Sich nicht mit der Macht zu verbünden, sondern mit der messianischen Kraft, die aus dem Neuanfang erwächst?
Wer ist bereit, sich mit den Mächtigen anzulegen und den Einsatz für Gerechtigkeit ernst zu meinen?
Wer ist heute bereit, das Exil, in dem man sich durchaus bequem einrichten kann, zu verlassen?
Wer glaubt, dass sich die Berge senken werden und die Landschaft sich wirklich verändern kann?
Wer zieht aus dem Tal der Sachzwänge in die neue Stadt, heim in Freude?
Wo wir noch nie waren und doch zuhause sind
Lied GL 221: Kündet allen in der Not
1. Kündet allen in der Not; fasset Mut und habt Vertrauen.
Bald wird kommen unser Gott; herrlich werdet ihr ihn schauen.
Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil.
2. Gott naht sich mit neuer Huld, dass wir uns zu ihm bekehren;
er will lösen unsre Schuld, ewig soll der Friede währen.
Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil.
3. Aus Gestein und Wüstensand werden frische Wasser fließen;
Quellen tränken dürres Land, überreich die Saaten sprießen.
Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil.